Die Formel des Glücks Ein Foto und die Frage: Können Elefanten wirklich Freude empfinden...?
Der Elefant heißt Ernest. Er ist sechs Monate alt, und in diesem Moment stürmt er mit weit aufgestellten Ohren und hoch erhobenem Schwanz über die Savanne. Quickend jagt er davon, macht auf dicken Beinchen kehrt - und beginnt das Ganze von Neuem. Es gibt keinen Grund für dieses Verhalten: Ernests Herde weidet ruhig in der Nähe; Feinde sind nirgendwo zu erkennen. Der kleine Elefant läuft einfach nur so - weil er Spaß daran hat. Und ja - ganz eindeutig - er lacht dabei. Ernest ist glücklich, ohne jeden Zweifel...
Ohne jeden Zweifel? Kaum. Denn das, was dieser Elefant zum Ausdruck bringt, war übr Jahrhunderte der verbotene Kelch der Wissenschaft: nämlich die Annahme, Tiere könnten Emotionen wie Freude überhaupt empfinden. Der Fachbegriff dafür lautet: "Anthropomorphismus" - das Projizieren menschlicher Eigenschaften auf Tiere. Die brühmte Primatenforscherin Jane Goodall nannte es "die schlimmste Sünde der Vrhaltensbiologie". Warum? Weil nur als bewiesen gelten kann, was messbar ist - Stress oder Angst etwa werden durch einen Anstieg der Herzfrequenz angezeigt und gelten bei Tieren daher als nachgewiesen.
Aber Freude - woran ist Freude messbar? Sie lässt sich nicht unter künstlichen Bedingungen erzeugen, ist damit nicht zu testen und außerdem so flüchtig, dass sie kaum eindeutige Spuren im chemischen Haushalt eines Körpers hinterlässt. "Zudem hat Freude keinen evolutionären Nutzen", erklärt der Verhaltensbiologe Samuel Masterson. "Sie trägt nicht zum Erhalt der Art bei, im Grund ist sie also überflüssig."
Und doch zeigt dieses Foto eine andere Wahrheit: Nämlich einen jungen Elefanten, der voller Glück umherjagt. Die Aufnahme ging um die Welt und sorgte für hitzige Debatten - aus einem Dutzend Länder reisten Wissenschaftler an, um weitere Forschungen an Ernests Herde in Namibia vorzunehmen. Sie fanden heraus, dass Elefanten über fast ebenso viele mimische Ausdrücke verfügen wie der Mensch; dass sie vor Wut mit den Füßen aufstampfen; vor Angst den Kopf einziehen. Die Männer werden Zeuge von Rachsucht, Jähzorn und Eifersucht, und jede dieser Emotionen konnten sie wissenschaflich messen. Nur die Freude eines kleinen Elefanten, der lustig über die Savanne jagt - die entzieht sich bis heute allen Messmethoden. Nicht aber den Herzen der Forscher: "vielleicht ist es an der Zeit, einzusehen, dass manche Momente einfach zu kostbar sind, um sie zu analysieren", sagt Masterson. "Glück hat eben keine Formel. Es liegt in einem Sonnenaufgang, in einem Atemzug - oder in dem Lachen eines jungen Elefanten."
Quelle: D. Teves, Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 32/08