Neugierig inspiziert ein kleiner Pinguin eine Reihe merkwürdiger Abdrücke im feuchten Sand. Er ist ganz alleine hierher gekommen, um dieses Rätsel zu lösen, und nun recht er angestrengt den Hals, blinzelt, schaut noch einmal hin. Aber mein, er hat tatsächlich noch nie etwas Derartiges gesehen: Die Spuren sind ihm vollkommen fremd, und er hat keine Vorstellung von dem Wesen, das sie hinterlassen haben könnte. War es ein Freund oder ein Feind, und bedeuten diesen Abdrücke womöglich Gefahr? Unschlüssig tapst der kleine Pinguin von einem fuß auf den anderen. Der Begriff "Mensch" ist ihm fremd; er hat noch nie einen gesehen, und er kennt auch deren Fußabdrücke nicht. Er hat keine Ahnung, was Menschen bedeuten, denn nichts auf der Welt hat ihn jemals auf eine solche Begegnung vorbereitet.
Das Foto auf dieser Seite entstand auf Südgeorgien, einer der entlegensten Inseln der Welt. Fast 1300 Kilometer liegen zwischen dem kleinen subantarktischen Archipel und dem nächsten bewohnten Flecken Land. Die Schiffsfahrt zu den benachbarten Falkland-Inseln dauert drei Tage, allerdings nur bei ruhiger See, was selten ist, denn überwiegend wüten hier Stürme, die Geschwindigkeiten von bis zum 350 km/h erreichen. Der Winter dauert acht Monate; die Temperaturen sinken auf -50 Grad, sie lassen selbst das Meer gefrieren und verhindern jede An- oder Abreise. Wahrlich, Südgeorgien ist kein Paradies für den Menschen. Es gibt hier nichts für ihn. Keine Reichtümer, keine Träume, keine Gnade. Und dennoch hat er auch dieses Land erobert: Mittlerweile gehen in den Sommermonaten 70 Kreuzfahrtschiffe vor der Küste vor Anker. Sie bringen Hunderte von Touristen in eine Welt, die keine Menschen kannte, weil sie eine der letzten Enklaven war, in der nicht wir das Land formten, sondern allein der Wind und das Meer und das ewige Eis.
Die Tiere, die hier leben, kennen keine Furcht vor dem Menschen. Sie wissen nichts von unseren Waffen oder unseren Begierden. Sie wissen nur eines: Am Ende der Welt, auf dieser sturmumtosten Insel, wachsen ihre Jungen seit Generationen schon in Sicherheit auf. Einer Sicherheit, die es so nirgendwo sonst auf der Erde noch gibt. Genau aus diesem Grund kommen die Touristen. sie wollen ein Wunder erleben; ein Paradies, das nur Frieden kennt. Ohne zu begreifen, dass dieser Frieden nur bestehen kann, wenn kleine Pinguine bis in alle Ewigkeit niemals die Fußabdrücke eines Menschen erkennen...
D. Teves
Quelle: Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 3/10