Vier Männer sitzen auf einer Holzveranda und ruckeln unruhig auf ihren Stühlen herum. "Es ist schon acht Minuten zu spät", sagt einer plötzlich. "Nicht, dass die Milch abkühlt, ihr wisst, doch der Kleine mag das nicht!" Seine Kameraden grunzen zustimmend, und gemeinsam kontrollieren sie noch einmal das Fläschchen, das in einem dicken Handtuch neben ihnen liegt. "Wir müssen ihn auch unbedingt wiegen. Er kam mir gestern so dünn und ausgezehrt vor", erklärt nun ein anderer mit bebender Stimme, und sofort fügt der Mann neben ihm hinzu: "Ich glaube sogar, eine seiner Krallen war abgebrochen!" Im empörten Gemurmel der Männer geht so beinahe das Geraschel unter, mit dem sich ihr Besuch ankündigt. Aber nur beinahe: "Alberto, mein Schatz!", trillert der erste Mann plötzlich und springt auf. "Komm zu deinen Papis!"
Um es vorwegzunehmen: Alberto ist ein Großer Ameisenbär. Und die vier Männer, die sich wie aufgebrachte Glucken verhalen, sind gestandene Farmarbeiter aus dem brasilianischen Pantanal. Aber der Reihe nach: "Wir fanden Alberto im Gestrüpp", sagt Manucho Oliva, einer der vier Arbeiter. "Er war allein - seine Mama muss gestorben sein, denn Ameisenbären klettern direkt nach der Geburt auf den Rücken der Mutter und bleiben dort, bis sie neun Monate alt sind." Was also tun? "Meine Jungs und ich haben alle Kinder daheim", sagt Manucho. "Zwar sind unsere Frauen für die Familie zuständig, aber wir waren sicher, dass es nicht so schwer sein kann. Wir nahmen Alberto mit." zu viert erstellen die Männer einen Schichtplan, damit der Ameisenbär rund um die Uhr betreut ist; sie kaufen Wagenladungen voller Schnullerfläschen, die mal zu klein, mal zu groß, mal zu labberig sind, bevor endlich die passende Größe gefunden ist. Sie kochen Milch nach einer Spezialformel, führen viele sehr ernste Fachgespräche mit Zoologen und - die Männer machen ihre Sache erstaunlich gut: Mit einem jahr wiegt Alberto stattliche 32 Kilo und wird in die Freiheit entlassen. "Ein paar Tage später saßen wir auf der Veranda und sahen uns die Babyfotots von Alberto an, als wir ein Rascheln hörten", sagt Manucho. "Und dann kam unser Kleiner auch schon angeollppiert! Wir hatten ihn drei Autostunden entfernt ausgesetzt - und trotzdem war er zurückgekommen." Das macht Alberto seitdem jeden Abend so - er kommt, holt sich seine Milchportion ab, läßt sich streicheln, wiegen und beglucken. "Natürlich müssen wir Alberto wieder irgendwo weit weg aussetzen", sagt Manucho. "Aber es ist einfach wahnsinnig gefährlich in der Wildnis. Es gibt Jaguare und wilde Hunde. Und alberto hat sich ja schon eine Kralle abgebrochen. Mehr muss ihm wirklich nicht zustoßen."
D. Teves
Quelle: Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 44/09