Der Hund komt jeden Abend zur gleichen Zeit. Immer um Viertel nach fünf; kur bevor der Zug aus dem Universitätsviertel in den Bahnhof von Shibuya einfährt. Sein Name ist Hachiko, und vor dem westlichen eingang des Bahnhofs wartet er auf einen Zug, ausdem der eine Mensch steigen sollte, den er an all den Taen seines Lebens genau so hier abgeholt hat. Doch dieser Mensch kommt nicht mehr. In dem Gewirr aus Stimmen und eiligen Schritten wird Hachiko nie wieder finden, was er sucht. denn der Mann, den er abholen möchte - der Mann, für den er jeden Tag kilometerweit durch Tokio läuft; für den er durch Zäune bricht und über Straßen jagt, um pünktlich am Bahnhof zu sein - dieser Mann ist tot. Jeden Abend wartet Hachiko seitdem vergeblich, nur, um am nächsten Tag erneut zu erscheinen, voller Hoffnung, und pünktlich um Viertel nach fünf...
Hachiko starb im Alter von zwölf Jahren. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach seinem Herrchen - zehn Jahre, in denen er jeden Abend aufs Neue zu der wichtigsten Verabredung seines Lebens erschien.
Seine Geschichte machte den Akita-Rüden bereits zu Lebzeiten berühmt - ein Jahr vor seinem Tod wurde ihm eine Bronzestatue am Bahnhof von Shibuya gewidmet; sie steht am Westeingang, genau dort, wo der Hund so viele Stunden wartete und der seitdem nur noch "Hachiko Exit" heißt. Es gibt Bücher, Comics, Filme und selbst Videospiele über Hachiko, und als der japanische Radiosender CBN Originalaufnahmen seines Bellens abspielte, hören Millionen Menschen zu und bescherten der Station fast 60 Jahre nach dem Tod des Hundes noch absolute Rekord-Quoten.
Der kleine Rüde ist ein Held Japans. Ein Sinnbild für Treue und Loyalität, sicherlich. Und doch viel mehr als das. Hachiko hat der Welt gezeigt, dass Liebe niemals aufhört. Sie endet nicht einfach, denn dort, wo sie in unserem Innersten besteht, wird sie für immer bewahrt sein. Hachiko hat zehn Jahre seines Lebens jeden Abend auf den einen Menschen gewartet, der ihm alles bedeutete. Fast 3650 Tage, an denen dieser Mensch niemals kam. Es gibt Forscher, die behaupten, der Hund sei lediglich auf dieses Verhalten konditioniert gewesen und unfähig zu erkennen, dass all diese Stunden vergeblich sind. Vielleicht haben sie Recht. Doch vielleicht ist auch das Gegenteil wahr - und all die vergeblichen Stunden waren in Wirklichkei5t jene, die am schwersten wogen. Tausend Momente, in denen sich ein kleiner Hund an das mächtigste Gefühl der Welt erinnerte.
D. Teves
Quelle: Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 41/09