Der Wallach läuft im Kreis. Sein Körper ist angespannt, fluchtbereit - doch es gibt kein Entfliehen. Es gibt nur diesen zaun, der nirgendwo endet, der keine Deckung bietet. Und die Silhouette des mannes, der still in der Mitte des Geheges steht und wartet. Beobachtet. Lauert. Der Wallach schnaubt. Er rennt schneller. Sucht und sucht nach einem Ausweg, den er nicht finden wird. Und noch immer wagt er es nicht, den Mann anzusehen...
Der Name dieses pferdes ist Hail Yeah, und dieser Tag ist Tag drei in einem Wettbewerb, der für ihn über Leben und Tod entscheiden wird. Denn Hail Yeah ist ein Mustang - eines von 9500 Wildpferden, die jedes Jahr in den USA gefangen und auf Auktionen angeboten werden. Handelspreis: umgerechnet 80 Euro pro pferd - weniger als ein Paar Cowboystiefel. Das Gesetz macht kurzen Prozess mit ihnen: jedes Tier, das drei Mal erfolglos angeboten wurde, steht zur Schlachtung fei. Denn selbst zu diesem Spottpreis will keiner die Mustangs haben - sie gelten als zu willensstark, zu schwierig, als unzähmbar. Genau das soll sich jetzt ändern - mit dem "Extrem Mustang Makeover": einem Wettbewerb, für den die 100 besten Pferdetrainer Amerikas ausgewählt wurden, um in 100 Tagen jeweils einen zugeteilten Mustang zu zähmen und auszubilden. Eine Aufgabe, die selbst mit domestizierten Pferden schwierig ist. mit Wildpferden aber, die gelernt haben, Menschen zu fürchten, nahezu unmöglich: "Niemand glaubte, dass wir es schaffen", sagt Trainer Ray Ariss. "In diesen 100 Tagen musste die Ausbildung mehrerer Jahre stattfinden - mit Pferden, die sich weder anfassen noch aufhalftern oder führen ließen. Aber wir waren bereit - wollten der Welt zeigen, was in diesen Mustangs steckt." Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Fast eine Woche braucht Ariss, bevor sein Mustang Hail Yeah sich traut, ihm auch nur einen Schritt entegenzukommen. Wass dann aber geschieht, ist ein Wunder: 100 Tag später treten von 100 Mustangs 75 zum Abschlussturnier in Texas an. Und sie alle zeigen, was als unmöglich galt: Mit ihren Reitern springen die Pferde durch Feuer, legen sich auf Kommando hin. Sie vollführen schwierigsten Dressurlektionen, fligen über Sprünge, rasen als Cowboy-Pferde hinter Rindern her. Zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas finden in der abschließenden Auktion alle 75 Mustangs einen Käufer - die Pferde erzielen eine Gewinnsumme von über 160.000 Euro. Den Rekord aber hält Hail Yeah: Für 34.00 Euro geht er in den Besitz von Ray Ariss. "Dieses Pferd", sagt der Mann, "hat mich Demut gelehrt. Denn einen Mustang interessiert alles Wissen nicht. Was zählt, ist das Herz. Ein mutiges, tapferes Herz - stark genug, um das Vertrauen eines wilden Pferdes zu verdienen."
D. Teves
Quelle: Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 35/09