Meine Lehrerin sagt, Elefanen wandern ihr Leben lang. Sie folgen unsichtbaren Pfaden von einem Weidegrund zum nächsten, auf denen Abertausend Elefanten vor ihnen schon gewandert sind. Ich stelle mir vor, wie das sein mag - mit jedem Atemzug einen Fuß vor den anderen zu setzen - und ich frage mich: Wie viele Schritte hat ein Leben?
Ich weiß nicht, wie viele Schritte meines haben wird - ich kenne auchdie Pfade nicht, auf denen ich wandern werde, und manchmal macht mir das Angst. "Du kannst alles erreichen, was du willst", sagt meine Mutter immer. Und sie hat Recht. Aber insgeheim denke ich oft, dass es schöner wäre, dabei jemanden an meiner Seite zu haben, der mir den Weg zeigt. Abenteuer bringen nur dann wirklich Spaß, wenn man sie teilen kann.
Die Elefanten machen das immer so: Sie gehen niemals allein, und die Babys verbringen sogar die ersten zwei Jahre ihres Lebens fast ausschließlich unter dem Bauch ihrer Mutter. Später dann haben sie eine ganze Herde voller Schwestern, Tanten und Cousinen, und wohn der Weg sie auch führen mag - es ist immer jemand an ihrer Seite, um sie durch die Fluten und wüsten und über die Abgründe zu führen. Elefanten müssen keine Angst haben. Sie kennen ihren Weg, und sie wissen, wohin sie gehen. Das mag vielen Menschen furchtbar langweilig erscheinen, aber dafür gehen Elefanten niemals verloren - und sie sind auch niemals verloren.
Jeder Schritt ihrer Lebens folgt einem Pfad. Sie haben ein Ziel und die Gewissheit, dass dieses Ziel auch ein gutes Ziel ist. Elefanten müssen sich nicht fragen, ob sie die richtige Entscheidung treffen, denn diese Entscheidung ist schon vor langer Zeit getroffen worden.
Ich werde all dieses Wissen nicht haben. Die Schritte meines Lebens müssen keinem Pfad folgen, nur meinen eigenen Launen. Sie müssen nicht einmal ein Ziel haben, und wenn doch, muss ich selbst dieses Ziel erst finden. Das ist aufregend, und natürlich hat meine Mutter Recht: Ich kann alles erreichen. Wer weiß, vielleicht führen mich die Schritte meines Lebens sogar bis nach Hollywood. Aber manchmal, und nur ingesaheim, denke ich, es wäre schöner, in ein paar Fußstapfen treten zu können. Dafür würde ich auch auf Hollywood verzichten. In dem Wissen, dass ich vielleicht den langweiligeren Weg gewählt habe - aber dass kein einziger Schritt meines Lebens dabei vertan ist.
Annie Beechcombe, 13 Jahre
Quelle: Ein Foto und seine Geschichte, TV Hören und Sehen, 31/09