Hayati ist 52 Jahre alt. Mehr als 23.000 Kilometer ist die Elefantenkuh in ihrem Leben durch Afrika gewandert; sie überlebte acht Angriffe von Wilderern, ein Dutzend Buschfeuer, drei Dürren. Sie kennt 107 Wasserstellen und mehr als 450 Pfade, die zu ihnen führen. In Hayatis Gehirn ist ein Areal von 18.000 Quadratkilometern gespeichtert - eine Region, die der Hälfte der Gesamtfläche der Schweiz entspricht.
"Es heißt, Elefanten vergessen nie", sagt der Wissenschaftler Dr. Charles Foley. Einen Beweis für diese These allerdings - den gab es bisher nicht. Im Gegenteil: "Aus evolutionärer Sicht bedeutet ein umfassenden Gedächtnis einen riesigen Aufwand bei meist geringem Nutzen", erklärt der Forscher. "Die Mehrheit aller Arten überlebt auch ohne diesen Luxus." Unter Foleys Leitung allerdings wurde nun die Wanderungen mehrerer Elefantenherden aus den vergangenen 50 Jahren analysiert. Mit unglaublichen Ergebnissen: Die Daten zeigen, dass Elefanten tatsächlich alles speichern, was ihre Herde zu schützen oder zu bedrohen vermag. "Die ältesten Leitkühe erinnerten sich an Pfade, die sie nachweislich erst ein einziges Mal gesehen hatten", so Foley. "Und zwar vor mehr als fünf Jahrzehnten, als sie selbst noch Babys waren." Sie erinnerten sich an bestimmte Notfall-Wege, die ihre Herden während der großen Dürre im Jahr 1963 genommen hatten die danach nie wieder eingeschlagen wurden; an unterirdische Quellen, die ihnen als Jungtiere nur im Vorbeigehen gezeigt wurden, und ausnahmslos an alle Orte, an denen Mitglieder ihrer Herden einst gestorben waren. Die Leitkühe hielten dort selbst dann inne, wenn die Gebeine ihrer Gefährten lange zu Staub zerfallen waren. "Wir haben errechnet, dass Leitkühe durch ihr Gedächtnis die Überlebenschance ihrer Herde um bis zum 40 Prozent steigern", sagt Foley. "Ihr Wissen wird von Generation zu Generation vererbt und erweitert."
Es ist Segen und Fluch zugleich: "Vor 100 Jahren durchzogen zehn Millionen Elefanten Afrika", erklärt der Forscher. "Heute sind es noch 500.000." Und es sind nicht nur weniger Tiere - vor allem die alten Leitkühe wurden getötet; der Mensch hat die Struktur der Herden zerstört und ihnen damit ihr Wissen geraubt: "Viele Kälber werden mittlerweile von unerfahrenen Jungmüttern aufgezogen", so Foley. "Sie wissen nicht mehr, wass sie wissen müssen, weil wir ihnen die Chance genommen haben, es zu lernen." In Tansania leben heute weniger als zwei Dutzend alte Leitkühe, die sich noch an die vergesenen Pfade, an die Gefahren und die Wunder Afrikas erinnern. "Mögen sie nur leben", sagt Charles Foley. "Nur dann wird ihre Weisheit überdauern."