Zu allen Zeiten haben sie die Menschen bemüht, natürliche Heilkräfte in der Pflanzenwelt zu entdecken und als Mittel gegen ihre Leiden zu nutzen. Aber nicht nur körperliche Erkrankungen bedrohten unsere Vorfahren. Dazu kam die Angst vor dem Unerklärlichen, vor Naturkatastrophen, vor Schicksal und Unglück, dem Fluch von Menschen und Dämonen, vor Hexen, Teufeln und bösen Geistern aller Art. Andererseits sehnte man sich, uralten Wünschen entsprechend, nach bleibender Jugend, nach einem Blick in die Zukunft, nach Erfolg in der Liebe, nach Unverwundbarkeit, Reichtum und Wohlstand. Ein Mittel, das Heilung, Schutz sowie Erfüllung dieser Sehnsüchte versprach, waren die Zauberpflanzen, die in der Regel zu den bekannten Heilkräutern gehörten. Ihre natürlichen Heilkräfte konnten mit Hilfe bestimmter Besprechungsformeln und Rituale beim Sammeln und Anwenden auch auf den übernatürlichen Bereich ausgedehnt werden, so dass sie dem Menschen zusätzlich als ein seelisches Schutz- und Heilmittel dienten.
Seit Urzeiten steht der Mensch mit der Welt der Pflanzen in einer besonders engen Lebensgemeinschaft. Unsere Vorfahren hielten die ganze Natur für belebt und sprachen Pflanzen auch eigene Empfindungen zu. Götter, Geister und Menschen konnten sich in Pflanzen verwandeln; aus Blumenkelchen wuchsen Kinder; die Bäume wurden von Nymphen bewohnt, die mit ihnen lebten und starben; Trauernde klagten ihr Leid den Wältern und die germanische Göttin Freia nahm allen Gewächsen den Eid ab, ihren geliebten Sohn Baldur nicht zu verletzen. Pflanzen, Naturerscheinungen und Menschen waren schicksalhaft miteinander verbunden. Das Überleben hing ab vom Wissen um die natürlichen und magischen Kräfte der Pflanzen, das man durch Beobachtung und Erfahrung gesammelt und seit heidnischer Vorzeit an die nachfolgenden Generationen weitergeben hatte. In der Überlieferung, in Sage und Legende, Brauchtum und Volksweisheit fanden diese Kenntnisse ihren Niederschlag. Auch die Kirche konnte oder wollte diesen Mythos nicht ausrotten; sie gab ihm nur einen christlichen Rahmen.